von Marijke » Sa 16. Jul 2016, 03:46
Sie gingen. Und damit wurde das Atmen leichter. Als selbst der Hund verschwand und das Trio zu weit entfernt war, um einen Unterschied zwischen ihren Gestalten und dem Horizont zu machen, brauchte sie keine Maske mehr aufrecht erhalten. Mit einem erleichterten, zitterndem Seufzen ließ die Sidhe sich an der Stallwand zu Boden gleiten und bettete ihren Kopf auf ihre Knie. Eine sehr untypische Haltung für sie, aber die Arme um ihre Beine zu schlingen war ihr gerade das größere, ureigene Bedürfnis nach Geborgenheit, als sich um Anstand und Selbstdarstellung zu kümmern. Riketz hatte sie überrannt. Ganz einfach so. Und das schmerzte, nicht nur als innerliche Wunde, sondern wegen der Erinnerung, wie unzureichend ihre eigenen Kräfte waren. Und das war eine weit aus tiefere Wunde, ein weitaus tieferes leises Trauma, als alles, was das Einhorn ihr hätte antun können – bewusst oder unbewusst. Gerade weil es der Adligen nicht an Motivation und Ehrgeiz mangelte, war die eigene magische Unfähigkeit schon beinahe eine Verkrüppelung. Dabei war auch vollkommen egal, dass sie, eben WEIL sie so schwache Magie hatte, der beste Kandidat war, um ein Einhorn auszubalancieren. Und selbst die Erkenntnis und der Grundsatz, dass das Machtpotenzial nicht einmal ein Viertel der Fähigkeiten eines Sidhe ausmachten – auch das half nicht. Es waren Erwartungen, die auf sie einprasselten. Erwartungen, die sie ihrer Familie gegenüber hatte, Erwartungen, die sie dem Orden gegenüber hatte, Erwartungen, die sie selbst an sich stellte. Sie war erst am Anfang. So weit am Anfang ihrer eigenen Selbstständigkeit, dass es keinen Grund gab den Kopf hängen zu lassen. Unerfahrenheit war kein Makel und keine Schwäche, sondern der Beginn des Weges. Jedenfalls versuchte sie sich mit Logik aus ihren Gedanken zu lösen. Für den Moment genoss sie jedoch das Gefühl sich selbst zu halten, die Wärme ihres Atems auf ihren Knien und Armen, die Frische, die durch das offene Stalltor hereinwehte und langsam in ihre Knochen kroch, genau wie die Luftfeuchtigkeit. Trotzdem war es muffig und staubig und auch diese Empfindungen wirkten mit bei ihr wieder Ruhe zu bringen. Sie war für sich selbst und alleine und es tat gut. Mittlerweile spürte sie Riketz nicht einmal mehr, auch nicht am Rande ihrer inneren Wahrnehmung. Das hieß nicht, dass das Horn außer Reichweite war um Gefühle zu übermitteln oder zu empfangen, wenn er wollte, aber es bedeutete durchaus, dass er sich verschlossen hatte, um ihr diese ultimative Privatsphäre zu gewähren. Und es heilte so langsam ihre Unruhe. Genau dieser Aspekt war eines der wenigen Konflikte, die Einhorn und Mensch hatten. Manchmal, manchmal wollte die Sidhe für sich sein, Riketz hingegen war ein Wesen der Zwiesprache und kontinuierlichen gedanklichen Verbindung. Selbst gedankliche Sprache war eine Fremdsprache für ihn, denn seine Kommunikation ging normalerweise tiefer. Sich also von seiner Partnerin zu trennen, um ihr gedankliche Abgeschiedenheit zu gewähren – selbst so etwas wie mentale Taburäume zu haben tat dem Einhorn weh und verwirrte ihn. Mittlerweile hatte er sich damit arrangiert, denn eine Partnerschaft – egal welcher Art – lebte von Kompromissen.
Das Unbehagen und die Niedergeschlagenheit verging, ihr Kopf klärte sich. Wie still und laut es war, wenn man wirklich nur für sich war....Ihren Griff um ihre Beine ablegend, lehnte sie sich nun an die harte Wand an ihrem Rücken und starrte an die Holzbalken über sich. Nun war Zeit das Gespräch zu reflektieren. Je länger sie über die Unterredung nachdachte, desto mehr Ungereimtheiten kamen auf. Wenn sie ihre Erwartungen an das Gespräch beiseite schob wurde sie das Gefühl nicht los, dass Kiron nicht ganz da gewesen war. Nicht für die Problematik, nicht für die Truppe vor Ort. Es war, als wären sie eine sich anbietende Ablenkung gewesen, und keine Kapazitäten seitens des Oberen vorhanden, um sich wirklich vollends damit zu beschäftigen. Jedenfalls ließ sie das ihre eigene Rüge, die sie bekam und der schnelle Abgang des Oberen das vermuten. Würde sie das Gespräch übermittelt bekommen, was noch zwischen Kiron und Ishara stattfand, würde sie sich darinnen noch bestätigt fühlen. Nun, einerseits: Warum auch nicht? Oberer Kiron hatte andere Tätigkeiten und andere Sachen, um die er sich kümmern musste. Dafür gab es andere Sidhe – wie eben Marijke – die sich um diese kleineren Belange kümmerten, die der Obere dann als Bericht vorgelegt bekam. Trotzallem verwirrte sie der Ablauf. Warum dann das Gespräch aufnehmen und als Verantwortlicher agieren? Weil es von ihm erwartet wurde? Weil man sofort davon ausging, dass der Obere eine Lösung präsentierte, aus dem Stehgreif, einfach so? Welches Motiv steckte dahinter, dass sie die Halbelbe mit sich nahmen. Der offensichtlichste Grund: Ishara würde nicht unbeaufsichtigt herumstreunern und Szenen, wie mit Emma würden sich damit stark minimieren. Hegte er den Wunsch, dass die Bogenschützin sich den Sidhe anschloss? Dass sie gar nicht erst zu den Elfen ging und dort verblieb? Es machte Sinn. Auf lange Sicht wäre damit zwar mehr den Sidhe geholfen, als dem Kind, vorallem wenn sie noch Verwandte im Elaniawald hatte, aber das hieß nicht unbedingt, dass sie daraus nicht profitieren konnte. Die Ausbildung eines Sidhe und sei es nur die Grundausbildung, war ungemein viel wert um einen bessere Anstellung zu geben. Es war damit vollkommen egal woher man kam und aus welcher Schicht. Wer die Schule besuchte brachte wertvolle Fähigkeiten mit, die begehrt waren. Aber war das alles? Was brachte es noch einen Halbelfen in den Reihen zu wissen? Ganz egal, ob er wirklich ein Sidhe werden würde oder nicht? Diplomatisch gesehen war es sicherlich vom Vorteil. Desweiteren konnte es auch neues Wissen bringen, wie Magie nun wirklich wirkte und warum Menschen das Privileg der Verbindung genossen. So oder so: Ishara wäre für Thalia eine Bereicherung. War also die Anfrage, dass sie Ishara mitnahmen der unterschwellige Befehl sie für die Sidhe zu gewinnen? Aus der Warte betrachtet bot es Ishara natürlich eine Menge Vorteile ihnen zu folgen. Die Bogenschützin hatte noch versucht nachzuhaken, welche Person..ja was überhaupt? Was für eine Person bitte? Riketz und Marijke waren auf dem Weg zu einem Treffpunkt am Rande des Moores. Sollte einer der dort Anzutreffenden mehr über Elfen wissen? Schien wenig wahrscheinlich. Oder war sogar einer Vorort? Noch unwahrscheinlicher, aber immerhin möglich. Und um das Ganze perfekt zu machen war das Kind so verunsichert und misstrauisch, das Marijke sich ihrerseits unsicher war, ob Ishara einer positiven Antwort Marijkes vertrauen würde. Nun, es hieß ja auch nicht, dass Ishara Marijke folgen musste...die Elfe konnte genau so gut einfach Riketz nach laufen.
„Mmm, damit hast du wahrscheinlich recht. Ja, Menschen scheinen hier nicht mehr gerne sein zu wollen.“ Könnte ein Einhorn grinsen, hätte er es spätestens nach Lils Erklärung getan. „Oh, aber das mein ich doch. Namen ist so ein enger Begriff. Begriffe sind generell so einengende..Begriffe.“, er hielt kurz inne, zog seinen Vorderlauf aus dem Schlamm, der etwas fester gehalten worden war. „Es kommt auf die Übersetzung an. Der Eigenname..nein, du hast recht, das ist verwirrend...Die Eigenwahrnehmung kann übersetzt durchaus Einhorn lauten, oder Zaunkönig..oder Waldkind. Es sind nur Facetten dessen, was ein Anderer aus unserem Bewusstsein fischt und wahrnimmt. Das einfache Sein ist Name genug und man kann es ansprechen, dass es einem versteht. Alleine mit es Interagieren ist Kommunikation und universell verständlich.“, versuchte er nun seinerseits zu erklären nur um amüsiert zu Schnauben. Immerhin schienen sie ja dahingehend einer Meinung zu sein. „Oh..nun. Das ist eine Weide, da war ein Stall, also gibt es Zäune..hoffentlich. Und deswegen Zaunkönige. Vielleicht treffen wir auch auf was anderes interessantes. Aber es läuft sich deutlich besser durch diesen Schlammpfuhl mit einem Ziel vor Augen, richtig?“. Die nächste Frage brachte das Einhorn jedoch aus dem Konzept. „Wir..“, fing er stockend an. „Wir treffen niemanden. Also nein, das ist falsch. Wir haben einen Treffpunkt gesagt bekommen und das die Angelegenheit dringend ist. Mehr oder Minder. Wir sind bereits im Verzug. Hätte ich Mari nicht gedrängt den Brief zu öffnen, wären wir womöglich jetzt noch nicht unterwegs. Wäre es aber SO dringend, hätten sie uns nicht aus Gil'Leading kommen lassen, es dauert immerhin ein paar Tage um dort anzukommen. Greife sind die größten Klatschmäuler, die es gibt, das kann ich dir bestätigen. Daher wusste ich überhaupt von dem Auftrag, weil die Boten schwatzten. Marie rügte mich zwar, warum ich wieder fremde Gespräche lauschte, aber ich kann wohl kaum Schuld dafür sein, wenn meine Mitwesen ungebührlich schreien?!.“, fing er an loszuplappern. Bis er einfach stehen blieb und erschrocken verharrte. Der Pferdekopf schaute Richtung Ishara. „Ich tat ihr weh. Mari. Ich tat ihr weh, weil ich nicht aufpasste.“, fing er übergangslos an. „Dir soll das nicht passieren. Ich möchte dir etwas zeigen.“. Und damit kam er dem Waldkind näher und berührte sie sanft an der Schulter. „Ich werde Mari bitten es dir wirklich zu erklären, denn das ist nicht meine Stärke.“ seufzte er dann und begann dann Isharas Geist einzuhüllen. Anders als er es bei Mari getan hatte dominierte das Einhorn nicht durch Lautstärke und Farbigkeit. Es war wie das Plätschern eines Stromes. Nicht sonderlich laut, aber beharrlich und achtete man erst einmal darauf, war es schwer seine eigenen Gedanken zu hören oder die Welt außerhalb des Wassers mitzubekommen. Dabei griff Riketz nicht einmal Lils Gedanken an oder in diese herein. Er sprach nicht mit ihr. Er beschallte sie einfach und vollständig, als wäre sie ein kleiner Felsen in der Brandung, an der nun Riketz Geräusche vorbeiströmten. Zu erst starr, dann etwas gefasster ließ die Elfe die Prozedur über sich ergehen. Für Riketz war nicht ersichtlich, ob es ihr unangenehm war, oder ob sie innere Schilde hochziehen konnte, ob sie das Rauschen und langsame übertönen sämtlicher anderer Eindrücke unterdrücken konnte. Er tastete nicht nach hier und fuhr eins, zwei Minuten mit der Dauerbeschallung fort, ehe er sie mit einem Mal einstellt. Stille kehrte ein, wo Ishara Zeit bekam andere Sinneseindrücke zurück zu bekommen und wahrzunehmen. „Es tut mir leid“, murmelte sie leise, „Dass du ihr wehgetan hast, meine ich.“, kam von ihr. „Ja, mir auch. Das hätte nicht passieren dürfen.“, antwortete er ebenso leise. „Dieses..Rauschen. Das kann immer passieren. Es kann sehr laut sein und Meinesgleichen...wenn wir es nicht gewohnt sind, können wir Andere damit überwältigen und erdrücken. So sehr, dass es wirklich schmerzt und zu Sinneseinschränkungen führt. Würdest du dir von Mari zeigen lassen, wie du dich davor abschotten kannst? Es wäre..Du hattest vorhin Angst. Panik und Angst vor Etwas, was ich nicht sah und wittern konnte. Es war ein mächtiges Gefühl, was du ausstrahltest. Und für einige Momente war es mächtig genug, dass ich glaubte, es wäre meine Angst.“ Er löst den sanften Kontakt seines Mauls an ihrer Schulter nicht ab. „Du fühlst dich nicht sicher.“, führt er fort. „Ich weiß nicht, wen Oberer Kiron meinte, als er den Vorschlag unterbreitete dich mit uns zu schicken. Aber ich kann dir sagen, dass Mari diesen Vorschlag ebenfalls unterbreitete, dass du uns begleiten könntest, wenn dir daran gelegen wäre. Und ich mag deine Gesellschaft, dass ich natürlich dafür bin, dass du mit uns kommt, wenn du das möchtest.“, gab er ihr noch zu verstehen, verharrte aber auch in der Position. Er stand gut, wie er stand und das reichte für den Moment. Momente waren immerhin dafür da um Momente zu sein.
16. Kiriat, Morgen
Mari akklimatisiert sich, Riketz und Lil sinnieren über Zaunkönige, das Wetter bleibt weiterhin matschig und doof.
Ishara - Marijke/Riketz
Andere Ameisen: Tenebrae, Zirp, Anuka