von Ishara Lileth Acedia » So 22. Feb 2015, 02:01
Vielleicht lag es nahe, immer das Fremde mit staunenden Augen zu betrachten oder aber angstvoll. Es war nur etwas, an das man für gewöhnlich keinen Gedanken verschwendete. Für Ishara waren vielleicht andere Dinge fremd und vertraut, als man es erwartet hätte, aber das machte am Ende auch keinen Unterschied. Wunder waren Wunder und auf ihre Form kam es dabei nicht an.
Die Halbelfe spürte das Unbehagen des Einhorns und das Lächeln verblasste, als sie hastig dazu ansetzte, sich zu entschuldigen, ihm zu versichern, dass er sich nicht zu dieser Antwort zwingen musste, wenn sie ihn so quälte. Die Frage war unbedarft gestellt worden. Aus Neugier und dem Wunsch heraus sich einem Leben zu nähern, das fremd und vielleicht freundlicher war. Egal was davon er ihr erzählen wollte. Nicht einmal wichtig, ob es der Wahrheit entsprach, weil sie das ohnehin niemals herausfinden mochte. Aber offenbar lernte in dieser Welt selbst ein Einhorn was Unglück war…
Doch ehe Lileth die richtigen Worte gefunden oder gar ausgesprochen hatte, spürte sie erneut Riketz Berührung , die geteilten Gedanken, die mehr waren als bloße Worte und so schwieg sie, lauschte aufmerksam, eben so, wie ein Kind einer Geschichte lauschen würde. Nur dass es mehr war, als eine Geschichte.
Das Empfinden, das mit der Erinnerung an seine Mutter einherging, vermischte sich mit dem, was die Halbelfe empfand, wenn sie an ihre dachte und das seltsame Gefühl der Verbundenheit mit dem Einhorn wurde für einen Augenblick noch etwas stärker. Noch immer war da der Drang sich zu entschuldigen. Aber Lil tat es nicht. Es hätte sich falsch angefühlt. Als wäre irgendetwas verkehrt an diesen Worten, diesem Empfinden, als gäbe es einen Grund sie nicht auszusprechen nur, weil sie von Kummer berührt worden waren. Das Gegenteil war der Fall.
Und so brach die Blonde das Schweigen nicht, das für einen Augenblick einkehrte, versuchte sich stattdessen an die Sterne am Himmel jenseits der Wolkenfront zu erinnern, jeden einzelnen, leuchtenden Himmelskörper. Sie kannte nur wenige beim Namen, einzelne Sternbilder, aber diese Namen waren ohnehin von Menschen gemacht und mochten den Sternen wenig bedeuten. Jenseits davon war Ishara der Nachthimmel vertraut, hatte ihr so oft Gesellschaft geleistet, ihr den Weg gewiesen, selbst wenn sie nicht wusste, wohin sie eigentlich ging.
Die Sterne mussten mehr gesehen haben, mehr Geschichten kennen, als ein Einzelner in einem ganzen Leben teilen konnte. Diese Geschichten zu hören… Klang gleichermaßen erschreckend wie verlockend. Wissen zu können statt hoffen zu müssen, doch nur dann, wenn es tatsächlich Hoffnung gab. Vielleicht hielten die Sterne die Antwort auf jede Frage bereit, aber dann… Ging es wieder warum, ob man die Antwort tatsächlich kennen wollte.
„Vielleicht, weil es dir Wahrheit ist“, wisperte Lileth schließlich, als würde sie nicht wagen lauter zu sprechen. Als könnte eine laute Stimme in diesem Augenblick etwas zerstören, dass sich nicht so einfach fassen ließ. Es wäre schön darauf zu hoffen. Warum sollten Einhörner nicht mit den Sternen sprechen? Aber es war nicht leicht zu hoffen und es würde niemals leichter werden, nur schwerer.
Nicht allein zu sein, begleitet von Erinnerungen und Gedanken an jene, die man liebte, von denen man geliebt und berührt worden war… Das machte in einer kalten, dunklen Nacht keinen echten unterschied. Es wärmte nicht, es vertrieb nicht die Einsamkeit oder die Stille. Vielleicht half es gegen die Angst, zumindest ein klein wenig. Aber selbst das war schwer zu sagen.
„Ich bin nicht sicher, ob ich es richtig verstehe“, begann das Mädchen zögernd, die blauen Augen auf das Fabelwesen gerichtet. „Sie sind fortgegangen?“ Und hatten ihn zurück gelassen. Die Blonde sprach es nicht aus, aber die Worte schwebten auch so zwischen ihnen. Fast bereute sie die Frage, kaum dass sie ausgesprochen worden war. Es musste ihn verletzen oder nicht? Es würde zumindest sie verletzen.
Es gab mehr als eine Art, um zurückgelassen zu werden, aber auf diese Weise? Vielleicht war es anders für ein Einhorn. Ishara bemühte sich, es nicht in Mitleid enden zu lassen. Das war nicht, was sie fühlen wollte. Nicht was sie fühlen sollte. Es wäre beleidigend.
„Weißt du warum?“, wagte sie schließlich auszusprechen, was ohnehin zwischen ihnen lag. Konnte es dafür tatsächlich einen Grund geben? Aber es waren Einhörner, nicht wahr? Und sie war keins. Vielleicht lagen die Dinge für Riketz anders, als Lileth sie empfand, so sehr sie sich auch um Verständnis bemühen mochte. Vielleicht hätte sie ihn bloß um die Sicherheit beneiden sollen, sie zu finden, wenn es das richtige gewesen wäre. Doch wenn es das nicht war, was dann?
Hätte sie an seiner Stelle nicht alles daran gesetzt ihre Familie zu finden? War das nicht, was sie tat? Vielleicht war er nur klüger, wenn er die Auswegslosigkeit erkannte, aber… Was war die Alternative? Für den Rest des eigenen Lebens allein bleiben?
Allein auch neben denen, denen man sich verbunden fühlte, weil sie trotz allem fremd waren, anders und dort immer ein kleiner Teil übrig blieb, den niemand verstehen und erreichen würde. Keine klaren Gedanken nur vage Empfindungen, mit denen sie zu verstehen versuchte, was das Einhorn ihr vermittelte. Aber sie war kein Einhorn. Sie wollte sich nicht anmaßen es zu verstehen oder gar zu beurteilen. Er war hier und offenbar war es in diesem Fall tatsächlich da, wo er sein wollte.
Es machte sie schwindelig, einen Augenblick lang hätte Ishara nicht mehr sagen können, wo ihr eigenes Bewusstsein endete und seines begann. Die wortlosen Eindrücke waren wie ferne Erinnerungen. Das Gefühl des Nebels, der Geschmack der Luft. Als wäre sie selbst einmal dort gewesen, vor langer Zeit. Sie empfand ein Gefühl von Wärme und zugleich eine unbestimmte Sehnsucht danach, da es tatsächlich mit eigenen Augen zu sehen.
„Vielleicht wirst du es verstehen, wenn du mit den Sternen gesprochen hast“, erklärte die Halbelfe schließlich aus dem Bedürfnis heraus überhaupt etwas zu sagen. Sie hatte keine Antwort, aber das war auch nicht zu erwarten gewesen, das war vielleicht nicht nötig. Lileth fühlte sich benommen, als die Eindrücke sich veränderten. Es war nicht leicht das zu verstehen, wenn es sich auch vage vertraut anfühlte. Wie jene Momente, in denen sie Teil dessen war, was um sie herum lebte. Cyron, ein Eichhörnchen im Dickicht, ein Rabe auf einem Baum, Leben. Das hatte nichts mit Worten zu tun, aber es kam diesem Empfinden von allem, was sie jemals kennen gelernt hatte am nächsten.
So war es leichter zu verstehen. Wenn man sich des eigenen Platzes so sicher sein konnte… Vielleicht war irgendetwas daran trotz allem beneidenswert. Das Mädchen war nicht einmal selbst sicher, welchen Sinn die eigenen Gedanken ergaben. Sie waren wirr, intuitiv. Fühlten sich beinahe fiebrig an, doch ihr Blick, der auf Riketz lag war dankbar. Für das, was er mit ihr geteilt hatte, wenn sie auch scheiterte angemessene Worte zu finden. Vielleicht konnte er es ja spüren, auf die gleiche Art und Weise.
Dann brachte er sie doch wieder zum Lächeln und es ging schon leichter, als hätte ihr Gesicht sich inzwischen daran erinnert, wie es funktionierte. Eine herbeigezauberte Münze… Nach allem klang das so erschreckend trivial. Aber vielleicht war auch das eine Frage der Perspektive. „Warum nicht einen Stock fragen, wenn man seine Sprache sprechen kann?“, murmelte sie jedoch. Nur weil jemand wie die Frau das nicht vermochte. Wenn Sterne einem Einhorn Geschichten erzählten. Wer wusste dann, was andere Dinge taten? Alles was lebte bildete eine Welt, die weit über das hinausging, das den menschlichen Sinnen zugänglich war. Und sie wusste das, weil sie ein ums andere Mal wenigstens einen Blick über diese Grenze erhascht hatte.
Der Themenwechsel überraschte Ishara und wie auf Kommando nieste die Halbelfe erneut, schüttelte jedoch zugleich den Kopf. „Es ist schon in Ordnung“, erklärte sie ruhig. „Ich… Komme aus dem Norden, dort ist es viel kälter als hier und den Großteil des Jahres wird das Land von Schnee bedeckt… Vielleicht bist du ja auch schon im Norden gewesen? Oder im Süden? Ich habe gehört, dass es dort Orte gibt, an denen jederzeit die Sonne vom Himmel brennt und das Land versengt bis nichts mehr wächst.“ Im Augenblick klang das trotzdem einladend. Sie vermisste die Wärme der Sonne geradezu schmerzlich. Es stimmte, dass sie in der Kälte aufgewachsen war. Aber es entsprach auch der Wahrheit, dass Ishara sie ein Leben lang verabscheut hatte. Doch noch näher an das kleine Feuer heranzurutschen hätte bedeutet sich mitten in die Glut zu setzen.
„Einen Schafstall?“, die Blonde horchte auf, doch dann zögerte sie. Erneut waren Riketz Worte verwirrend und gaben ihr das Gefühl nur ungefähr die Hälfte dessen zu verstehen, was wesentlich war, aber sie nickte. Es reichte um zu erkennen, dass, so seltsam die Vorstellung auch anmuten mochte, auch das Einhorn unter der Witterung litt und dass es eine Einladung ausgesprochen hatte.
Die Frage war nur… Ob sie sie annehmen sollte. Und als würde er auf genau diese Entscheidung warten verharrte der Hengst und der Blick seiner hellblauen Augen ruhte auf ihr.
Normalerweise hätte Lileth kaum darüber nachgedacht, doch jetzt zögerte sie. Der Gedanke mit einem Mal wieder mit Regen und Nacht und den eigenen, noch aufgewühlten Gedanken allein zu sein, war merkwürdig beängstigend. Aber sie fürchtete sich auch vor einer Konfrontation mit Mari, wenn die Frau auch eine Freundin des Einhorns sein mochte war die Halbelfe nicht sicher, ob das irgendetwas zu bedeuten hatte. Sollte sie es darauf ankommen lassen? Die Nacht war noch lang und würde nicht gemütlicher werden. Ihr Feuer zischte schwach, vermutlich würde es nicht durchhalten und sie konnte selbst spüren, wie ihre Muskulatur zitterte, um sie warm zu halten.
Noch ehe es zu einem bewussten Gedanken geworden war, war Ishara auf den Beinen. „Dann… Lass uns dorthin gehen“, erklärte sie mit leiser Stimme. Die Unsicherheit mochte ihr deutlich anzumerken sein, als sie die Reste ihres Feuers sorgfältig erstickte und mit sich nahm, was ihr gehörte. Cyron folgte bereitwilliger als seine Herrin. Die auf dem Weg zu Stall noch haderte, den Impuls verspürte, sich abzuwenden oder weiter zu gehen. Aber… Sie konnte es zumindest auf einen Versuch ankommen lassen. Und sei es nur des Einhorns wegen.
„Also kannst du… zaubern?“, fragte sie dabei, vielleicht vor allem, um sich von dem nervösen Gefühl in ihrem Magen abzulenken.
[Ishara trifft eine Entscheidung und macht sich mit Riketz auf den Weg zu Mari]
Do you...
Know who you are?
Understand, what happened to you?
Want to live this way?